Hodenkrebs

(Synonyme: Hodenkarzinom - Keimzelltumor - Testis Cancer)

Epidemiologische Daten zum Hodentumor (Hodenkrebs) Der Hodenkrebs (Hodenkarzinom - testis cancer) stellt den häufigsten Männerkrebs in der Altersgruppe 20-34 dar und ist für etwa 1 % aller Krebsleiden beim Mann verantwortlich. In einer neuen Übersichtsarbeit weisen die Autoren (Huyghe, E. et al: Testicular Cancer Variations in Time and Space in Europe. Eur Urol 2007, 51, 621-628) auf die kontinuierliche Zunahme dieses Krebsleidens in den letzten 50 Jahren in Europa hin. Hierbei bestehen allerdings erhebliche nationale Unterschiede, was die Häufigkeit (Inzidenz) des Hodenkrebses pro 100.000 Einwohner anbelangt: Während es in Deutschland 10,8 Männer auf 100.00 betrifft sind dies 13,5 in Norwegen, 9,3 in Schweden, 7,8 in Dänemark, 3,1 in Finnland, 7,5 in Österreich, 10 in der Schweiz, 3,9 in Italien, 5,0 in Frankreich, 2,2 in Spanien, 5,8 in Holland, 3,0 in Belgien, 5,4 in England, 4,4 in Irland, 2,7 in Polen. Wie groß die nationalen Unterschiede innerhalb der Europäischen Grenzen sind zeigen die beiden Länder Portugal (Inzidenz 0,8/100.000) und Tschechien (16/100.000). Seit den 60er Jahren war in den nordeuropäischen Ländern eine Inzidenzzunahme von mindestens 3-5%, in Deutschland und Polen von sogar über 5 % pro Jahr zu verzeichnen.

Risikogruppen bei Hodenkrebs

Typische Risikogruppen für die Entwicklung von Hodenkrebs sind Männer mit eingeschränkter Fruchtbarkeit (Infertilität), insbesondere solche, welche eine Azoospermie (keine Spermien im Sperma nachweisbar) aufweisen (Mancini, M: High prevalence of testicular cancer in azoospermic men without spermatogenesis. Hum Reprod 2007, 22, 1042-1046) als auch solche, welche wegen eines Hodenhochstandes (Kryptorchismus) operativ behandelt werden mussten. Risikoerhöhung für Hodenkrebs bei diesen Männern zwischen dem 2-8-fachen, um so höher, je später operiert worden ist (Petterson A. et al: Age at surgery for undescended testis and risk of testicular cancer. N Engl J Med 2007, 356, 1835-1841).

Zusätzlich gibt es auch eine genetische Disposition, d.h., dass in manchen Familien eine familiäre Häufung von Hodenkrebs vorhanden ist, wobei ein rezessiver Vererbungsmodus diskutiert wird. So haben Brüder von betroffenen Hodenkrebspatienten ein bis zu 10fach höheres Risiko gegenüber der Normalbevölkerung ebenfalls an einem Hodenkarzinom zu erkranken, während dieses Risiko bei Söhnen von betroffenen Vätern um das über 5fache erhöht ist.

Männer, bei welchen bereits ein Hoden wegen Hodenkrebs entfernt werden musste zeigen gegenüber der Normalbevölkerung ein 20-40 fach höheres Risiko, dass im Lauf der Zeit auch der zweite Hoden erkrankt. Immerhin haben 5-6 % aller Männer zum Zeitpunkt der Hodenkrebsdiagnose bei ungezielten Biopsien des zweiten Hodens bereits Vorstufen zum Hodenkrebs (Testikuläre Intraepitheliale Neoplasie – TIN synonym Carcinoma in situ - CIS), aus welcher sich dann nach 5-7 Jahren in der überwiegenden Mehrzahl der Fälle (ca. 60-70 %) ein klinisch manifester Hodenkrebs entwickelt.

In einer neuen Übersichtsarbeit wurde unlängst auf eine weitere Risikogruppe hingewiesen (Miller et al: Testicular calcification and microlithiasis: association with primary intratesticular malignancy in 3.477 patients. Eur Radiol 2007, 17, 363-369): Es handelt sich hierbei um Männer, bei welchen bei der Ultraschalluntersuchung des Hodens Mikroverkalkungen (Mikrolithiasis Abb. 4) festgestellt werden. Immerhin zeigten 2 von 100 untersuchten Männern (n= 3.477) Mikroverkalkungen des Hodens. Das Risiko, später an Hodenkrebs zu erkranken war in dieser Patientengruppe 9fach erhöht. Derartige Mikroverkalkungen des Hodens sind nicht tastbar sondern nur mittels Ultraschalluntersuchung feststellbar.

Eigene Empfehlungen: Da der Hodenkrebs bei frühzeitiger Entdeckung immer heilbar ist sollten Männer (oder deren Partnerinnen ?!?) ab dem 18. Lebensjahr alle 2-3 Monate die beiden Hoden selbst auf etwaige Verhärtungen abtasten (am Besten in der Badewanne, wenn der Hodensack erschlafft ist) und bei Auffälligkeiten sofort einen Urologen aufsuchen. Zusätzlich empfiehlt es sich, dass Männer einmal in jungen Jahren (18-20 Jahre) eine Hoden-Ultraschalluntersuchung beim Urologen durchführen lassen, ob eventuell Mikroverkalkungen vorliegen. Die obig genannten Risikogruppen (Infertile bzw. subfertile Männer, Zustand nach Hodenhochstand bzw. nachgewiesene Mikroverkalkungen im Hoden) sollten regelmäßig einmal im Jahr beim Urologen eine Hoden- Ultraschalluntersuchung durchführen lassen.

Histologische Klassifizierung der Hodentumore (Hodenkrebse)

Die Hodenkrebse beim erwachsenen Mann unterteilen sich in seminomatöse (Seminome) und nicht- seminomatöse Tumore (Nichtseminome - reifes Teratom, Teratokarzinom, Embryonalkarzinom, Chorionkarzinom), welche sich bezüglich Therapie und Prognose teilweise voneinander unterscheiden. Oftmals handelt es sich um so genannte Mischtumore, das heißt, dass der Hodenkrebs aus Anteilen eines Embryonal-, Terato- und/oder Chorionkarzinoms bestehen kann.

Hodentumore können entweder über die Lymphbahnen in die regionären Lymphknoten oder aber direkt über den Blutkreislauf in andere Organe und hierbei bevorzugt in Lunge, Leber und Gehirn metastasieren. Da der venöse Abfluss des rechten Hodens in die untere Hohlvene (Vena cava) und der des linken Hodens in die linke Nierenvene erfolgt sind die ersten Lymphknotenstationen, wo Lymphknotenmetastasen generell abgesiedelt werden, beim rechten Hodenkrebs neben und auf der Hohlvene und beim linken Hodenkrebs neben und auf der Bauchschlagader (Aorta) in Höhe der Nierengefäße zu finden.

Diagnostik beim Hodentumor (Hodenkrebs)

Die Diagnostik beim Hodenkrebs beinhaltet einerseits spezifische Laboruntersuchungen, (Tumormarker wie AFP, ß-HCG und/oder LDH) andererseits Bild gebende Verfahren, wie die Hodensonographie (siehe Abb. 1) und zur Metastasensuche Computertomographie und Kernspintomographie sowie orientierend auch die konventionelle Röntgenaufnahme der Lunge sowie die Ultraschalluntersuchung der großen Bauchgefäße, wo bei Metastasierung normalerweise die ersten vergrößerten Lymphknoten zu finden sind.

TNM-Klassifikation Hodentumore der UICC von 2002:

pT-Stadium: beurteilt das primäre lokale Tumorwachstum

  • pTx : Primärtumor nicht beurteilbar
  • pT0 Histologisch Narbe im Hoden, kein Primärtumor nachweisbar
  • pTis Intratubuläres Wachstum (Carcinoma in situ)
  • pT1 Tumor auf den Hoden/Nebenhoden begrenzt ohne Invasionder Lymph- und Blutgefäße
  • pT2 Tumor auf Hoden/Nebenhoden begrenzt mit/ohne Infiltration der Hodenhüllen und mit Invasion der Lymph- und/oder Blutgefäße
  • pT3 Tumor infiltriert Samenstrang
  • pT4 Tumor infiltriert bereits den Hodensack (Scrotum)

N Befall der regionären Lymphknoten

  • NX Regionäre Lymphknoten können nicht beurteilt werden
  • N1 Metastase in solitärem Lymphknoten ≤ 2 cm
  • N2 Metastase in solitärem Lymphknoten ≥2 cm und ≤ 5 cm, oder in multiplen Lymphknoten ≤ 5 cm
  • N3 Metastase in Lymphknoten > 5 cm

M Fernmetastasen in anderen Organen

  • MX Vorhandensein von Fernmetastasen kann nicht beurteilt werden
  • M0 Keine Fernmetastasen in Bild gebenden Verfahren sichtbar
  • M1 Fernmetastasen nachweisbar

Prognose-Klassifikation der Hodentumore siehe Tabelle rechts

Wie schon oben erwähnt kommt es je nach Tumorstadium bei manchen Hodenkrebsen zu einer Erhöhung von Tumormarkern, welche im Blut nachgewiesen werden können und deren Höhe auch mit eine Aussage über die Überlebensprognose zulässt. Allgemein gilt je höher diese Tumormarker desto schlechter die Prognose. Außerdem sind die genannten Tumormarker auch enorm wichtig in der Nachkontrolle und der Beurteilung des Ansprechens auf eine eingeschlagene Therapie. Fallen die genannten Tumormarker nur langsam bzw. bleiben sie nach Therapieende erhöht ist dies immer ein schlechtes Zeichen.

AFP (@-Fetoprotein) und ß-HCG (humanes Choriongonadotropin) stellen die wichtigsten Tumormarker für nicht-seminomatöse Hodentumore dar, wobei selten auch bei Seminomen das ß-HCG erhöht sein kann (so genannte ß-HCG-positive Seminome).

Selten ist ein AFP-Anstieg nach Therapieende durch heterophile Antikörper zu beobachten, was dann nichts mit der Hodentumoraktivität zu tun hat und laborchemisch ausgeschlossen werden muss. Die Halbwertszeiten (Zeit, in welcher die Hälfte der Markerkonzentration aus dem Blut eliminiert ist) beträgt bei AFP 5 Tage und bei ß-HCG 24-36 Stunden.

Die LDH (Lactatdehydrogenase) ist ein für Hodentumore unspezifischer Tumormarker, der auch gerne bei anderen Krebsarten erhöht sein kann. Ein zusätzlicher Tumormarker stellt auch die PLAP (Placentare Alkalische Phosphatase) dar, welcher beim Seminom erhöht sein kann.

Therapie beim Hodentumor (Hodenkrebs)

Die Therapie beim Hodentumor besteht immer in der Entfernung (Semikastratio) des vom Tumor betroffenen Hodens über einen Leistenschnitt. Ist der Tumor bereits in den Hodensack mit infiltriert, was in unserer heutigen Zeit eine absolute Seltenheit darstellt, müssen gleichzeitig der Hodensack (Skrotum) und die Leistenlymphknoten mit entfernt werden.

Da, wie schon eingangs erwähnt, 5-6 % der Männer auch im klinisch unauffälligem anderen Hoden bereits Vorstufen von Hodenkrebs (TIN bzw. pTis) aufweisen wird immer gleichzeitig eine Biopsie aus dem anderen Hoden entnommen. Weist diese Biopsie bei der histologischen Aufarbeitung bereits Vorstufen eines Hodenkrebses auf, dann wird der Hoden noch mit 20 Gy bestrahlt.

Das weitere Vorgehen nach der Hodenentfernung hängt von der endgültigen Histologie des Tumors ab, welche vom Pathologen geliefert wird. Prinzipiell unterscheidet sich das Vorgehen zwischen den Seminomen und Nichtseminomen:

Seminome

Circa 15-20 % aller Seminome im klinischen Stadium I haben subklinische Metastasen, meist im Retroperitoneum (Lymphknotenstationen), sodass es zu einem Fortschreiten des Tumorleidens käme, wenn die Therapie in der alleinigen Hodenentfernung bestünde. Es bestehen nun generell folgende Optionen für den Seminompatienten nach der Hodenentfernung:

Radiotherapie (Bestrahlung)

Durch die Bestrahlung der paraaortalen Lymphknoten mit insgesamt 20 Gy kann die Relapsrate von 15-20 % auf 1-3 % gesenkt werden.

Surveillance (Nachbeobachtung)

Diese besteht in der regelmäßigen Durchführung Bild gebender Verfahren wie Sonographie und Computertomographie. Wie schon erwähnt muss bei diesem Vorgehen in 15-20% mit dem Neuauftreten von retroperitonealen Lymphknotenmetastasen gerechnet werden, welche dann entweder mittels Bestrahlung oder Chemotherapie behandelt werden. Adjuvante Chemotherapie: Hier wird nur ein Behandlungszyklus mit Carboplatin durchgeführt, welcher allgemein gut vertragen wird. Die Relapsrate nach diesem Verfahren ist mit 1-3 % der der Strahlentherapie vergleichbar. Eine retroperitoneale Lymphadenektomie (operative Entfernung der Lymphknoten) wird bei Seminomen allgemein nicht durchgeführt.

Nicht-Seminome

Bis zu 30 % der Patienten mit Nichtseminomen im klinischen Stadium I haben okkulte, also mittels Bild gebender Verfahren zum Zeitpunkt der Hodenentfernung noch nicht nachweisbare Lymphknoten- oder Fernmetastasen. Generell haben die Patienten folgende Optionen nach der Hodenentfernung:

Surveillance (Nachbeobachtung)

Regelmäßige Befundkontrollen der Tumormarker sowie mittels Bild gebender Verfahren (Sonographie/CT/NMR). Patienten, die sich für dieses Vorgehen, entscheiden, haben folgende Wahrscheinlichkeiten eines Tumorfortschreitens: nach 1 Jahr 8 %, nach 2 Jahren 12 %, im dritten Jahr dann weitere 6 %, in den nächsten Jahren dann nur noch 1 %.  

Adjuvante Chemotherapie

Allgemein werden 2 Kurse einer Cisplatin haltigen Chemotherapie gegeben, meistens in Kombination mit Etoposide und Bleomycin. Hierunter kommt es meist noch nicht zu einer Beeinträchtigung von Fertilität und Potenz.  

Retroperitoneale Lymphknotenentfernung (retroperitoneale Lypmhadenektomie – RLA):

Dieser Eingriff wird entweder offen chirurgisch durchgeführt, wobei hier ein großer Längsschnitt vom Brustbeinende bis zur Schambeinfuge erfolgen muss, oder aber endoskopisch-laparoskopisch (sog. Schlüssellochchirurgie). Entfernt werden die Lymphknoten der primären Lymphknotenstationen - beim rechtsseitigen Hodenkrebs vor der Hohlvene (Vena cava) und beim linksseitigen Hodenkrebs vor und neben der Bauchschlagader (Aorta). Zu früheren Zeiten bestand das Hauptproblem dieses Eingriffes in der Tatsache, dass die so mit einer Lymphknotenentfernung behandelten Patienten oft unfruchtbar wurden, da die Nervenbahnen, welche beim Mann den Samenerguss (Ejakulation) vermitteln, direkt vor der Bauchschlagader verlaufen. Durch so genannte Nerven schonende (Ejakulation erhaltende) Operationstechniken kommt diese für die jungen Männer gravierende Komplikation in geübten Händen nur noch selten vor.

Therapie des metastasierendern Hodentumors (Hodenkrebs)

Bestehen zum Zeitpunkt der Erstdiagnose, also wenn der Patient erstmals einen Arzt aufsucht, bereits Metastasen, welche in den Bild gebenden diagnostischen Verfahren (CT, Kernspintomographie, Röntgenaufnahme der Lunge) bereits sichtbar sind, so wird nach der Hodenentfernung sowohl beim Seminom als auch beim Nicht-Seminom zunächst eine Polychemotherapie durchgeführt. Das weitere Vorgehen (z.B. operative Entfernung von noch sichtbaren Metastasen oder erneute Chemotherapie mit anderen Substanzen) richtet sich dann nach den jeweiligen Befunden, d.h. nach dem Verhalten der Tumormarker und den Befunden im Computertomogramm bzw. Kernspintomogramm.

Risiken-Komplikationen der Hodentumortherapie

Das Hauptproblem der Hodentumortherapie liegt bei den meist noch jungen und kinderlosen Männern in der irreversiblen Beeinträchtigung der Fruchtbarkeit. Hierbei muss man wissen, dass der von einem Hodentumor betroffene Patient bereits zum Zeitpunkt der Diagnose meist eine deutliche Beeinträchtigung der Spermiogenese und somit der Fruchtbarkeit aufweist, welche durch weitere Chemotherapien oder Bestrahlungen noch zusätzlich eingeschränkt wird.

Außerdem haben Studien gezeigt, dass Hodentumorpatienten im späteren Alter (40-60 Jahre) 3x häufiger von einem Testosteronmangel (Hypogonadismus) betroffen sind als die Normalbevölkerung, sodass dann diese Männer später eine Testosteron-Substitutionstherapie benötigen. In Abhängigkeit davon, ob und wie viel Chemotherapien erforderlich wurden besteht in späteren Jahren ein erhöhtes Risiko, an Zweittumoren zu erkranken (Leukämien, Lymphome etc.). Hodentumorpatienten sollten deshalb auch jenseits der so genannten 5-Jahresgrenze (der Zeitraum, in welchem kein Relaps des Hodentumors mehr festgestellt wurde – die Tumorrelapse kommen meist in den ersten 2 Jahren, seltener nach 3-5 Jahren und ganz selten noch nach 5 Jahren) den Urologen zur Tumornachsorge aufsuchen.

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